Baadre Camp
Von Baadre City fahren mein Begleiter Fawzi und ich in das große Baadre Camp, dort leben etwa 15.000 Flüchtlinge, alles Esiden. Man mag sich überhaupt nicht vorstellen, was diese vielen Menschen erlebt haben, wurden sie doch von den IS-Schergen am schlimmsten von allen behandelt.
Plötzlich hält Fawzi an, und linkerhand öffnet sich ein Tor: Es ist, als ob ich in eine Art Mini-Paradies blicke. Es ist grün und schön, Kinder spielen auf einem Spielplatz, lachen, singen, winken mir zu. Ich werde in eine Art Containergebäude geführt und von einigen Frauen freundlich empfangen. Überall Kinderstimmen und Kinderlachen. Helen, die Leiterin dieses Zentrums für Kriegswaisenkinder, bittet mich in ihr Büro. Sie erklärt mir das Zentrum und führt mich in die einzelnen Klassen.
Die Kinder begrüßen mich fröhlich. An den Wänden hängen ihre Kunstwerke und andere schöne Bilder. Alle haben gutes pädagogisches Material vor sich und arbeiten damit, einzeln, in Paaren und in Gruppen.
Am allermeisten beeindruckt mich die Montessori-Klasse: Es ist ziemlich ruhig, denn jedes Kind arbeitet hochkonzentriert mit irgendeinem Montessori-Material. Dieses ist so gestaltet, dass das Kind sofort weiß, wie es damit umzugehen hat. Die Aufgaben ergeben sich also von selbst. Wenn ein Kind eine Aufgabe erledigt hat, stellt es das Material wieder ordentlich in eins der Regale zurück und nimmt sich ein neues. Es ist faszinierend zu sehen, wie ordentlich, friedlich und konzentriert alle Kinder arbeiten. Sie haben Freude an der Arbeit und fühlen sich offensichtlich geachtet, geliebt und gut aufgehoben.
Ich versuche so viel wie möglich mit der Kamera einzufangen. Auch in den anderen Klassen sind die Kinder mit vollem Eifer bei der Sache. Draußen auf dem Spielplatz ertönt plötzlich laute Musik. Einige Kinder tanzen voller Energie und Spaß zu einem Bewegungslied. Andere toben auf dem Trampolin. Am liebsten würde ich den ganzen Tag hierbleiben, aber wir haben noch mehr vor. Die Bilder von den fröhlichen Kindern gehen mir lange nicht aus dem Kopf.
Ebenso die Sätze von Helen, der Leiterin des Child-Centers: „Es war mein Traum, dass die Kinder, die aus den Händen des IS befreit waren und ihre Eltern verloren haben, einen Platz voll Liebe und Freude finden würden. Wir geben ihnen die Liebe, die sie brauchen und lehren sie christliche Werte wie gegenseitige Achtung, Hilfe in Schwierigkeiten, Trost und Ermutigung. Meine Mitarbeiterinnen sind ebenfalls geflüchtete Esiden aus dem Camp. Sie sind ausgebildete Lehrerinnen und bekommen regelmäßig pädagogische Fortbildungen. Nach den 18 Monaten, die dieses Zentrum existiert, sehe ich bei den Kindern bereits erhebliche Veränderungen. Sie haben ein Strahlen in ihren Augen, das sie durch die fürchterlichen Erfahrungen mit den IS-Schergen verloren hatten.“
Erst später erfahre ich, dass ein Teil dieser Kinder aus Vergewaltigungen von versklavten Esiden-Mädchen und -Frauen durch IS-Terroristen hervorgegangen ist.